Bei einem Praktikum entdeckte Julia Obereder, dass in Ghana viele Kinder in Waisenhäusern landen, die eigentlich noch Familie haben – und setzt sich seitdem für Sozialwaisen ein.
SCHÄRDING (juk). Als Julia Obereder 2008 zum ersten Mal nach Ghana kam, war sie noch Studentin des Faches Soziale Arbeit. Für ein neunwöchiges Studienpraktikum flog sie damals nach Afrika, um dort in einem Waisenhaus zu arbeiten. Eine spannende Reise ins Ungewisse, mit vielen neuen Eindrücken. Doch eine Erkenntnis prägt sie bis heute: „Während des Aufenthalts erfuhren wir, dass neun von zehn Kindern in Ghanas Waisenhäusern noch Familie haben.“, so Obereder, die heute das Familienzentrum in Schärding leitet. Oft hätten die Kinder noch einen Elternteil oder Verwandtschaft, die grundsätzlich bereit wäre, sich um sie zu kümmern. Doch es fehlt den bitterarmen Familien dort schlicht an Geld, um einen weiteren Menschen zu ernähren. Statt sie zu unterstützen, werden die Kinder aus den Familien genommen und als Waisen deklariert.
Ziel: Reintegration der Familien
Sozialwaisen sind in vielen Ländern Afrikas und Asiens ein Problem. Falsche Waisenhäuser werden illegal mit dem Ziel errichtet an Freiwilligen Geld zu verdienen. Die ghanaische Regierung hat sogar ein Gesetz gegen illegale Waisenhäuser verabschiedet, doch es fehlt an Ressourcen für effektive Kontrollen. Nach ihrer Zeit in Afrika gründet Julia Obereder gemeinsam mit zwei Mitstreiterinnnen den Verein BRAVEAURORA. Mit den ersten Spendengeldern bezahlten sie eine Sozialarbeiterin, die die Familiengeschichte aller 45 Kinder ihrer ehemaligen Praktikumsstelle dokumentierte . Binnen zwei Jahren konnten alle von ihnen zu ihrer Verwandtschaft zurückkehren. „ Manche Kinder hatten noch einen guten Kontakt zu ihren Familien, andere waren schon sehr weit weg. Oft war auch Enttäuschung darüber, dass ihre Familien sie weggeben haben bei den Kindern vorhanden.“, berichtete Obereder von dieser Zeit. „Viele Kinder hatten auch Angst erneut in die Armut abzurutschen, immerhin konnte das Waisenhaus ihnen sichere Mahlzeiten und einen Schulbesuch bieten. Wir mussten sensibel vorgehen. Aber keines der Kinder wurde gegen seinen Willen reintegriert.“
Seit kurzem UNICEF Förderung
Sein Engagement hat der Verein seitdem auf andere Waisenhäuser ausgeweitet. Zusätzlich bemühen sie sich um die Stärkung der Familien in den Regionen durch Arbeits- und Bildungsprojekte. Vor kurzem waren alle drei Vorstandsmitglieder – neben Kassierin Obereder auch Obfrau Christin ter Braak-Forstinger (ebenfalls gebürtige Schärdingerin) und Schriftführerin Sarah Kotopulos – von BRAVEAURORA erstmals gemeinsam in Ghana, in Begleitung einer ORF-Regisseurin . Das Montagsmagazin Thema berichtete vor einigen Wochen. Und sowohl Unicef als auch die ghanaische Regierung sind an den Erfahrungen von BRAVEAURORA interessiert und fördern das Projekt.
Nicht alle Waisenhäuser verteufeln
Wichtig ist Julia Obereder, dass Waisenhäuser nun nicht pauschal verteufelt oder in Frage gestellt werden: „Nicht jedes Waisenhaus ist überflüssig, es gibt genug echte Waisen, die auf ihre Mitmenschen angewiesen sind.“ Problematisch sieht die Schärdinger Sozialarbeiterin aber vor allem den Freiwilligentourismus, also die große Anzahl an jungen Leuten, die für nicht länger als die Dauer eines Urlaubs ins Ausland gehen wollen, um sich für die gute Sache zu engagieren. „Dadurch wurde ein größeres Angebot geschaffen als es tatsächlich gibt.“ Reiseanbieter sind auf den Zug aufgesprungen, man kann einen „Hilfsurlaub“ mittlerweile genauso einfach und zu ähnlichen Preisen buchen wie einen zweiwöchigen Toskana Urlaub. Spätestens hier sollten die Alarmglocken schrillen. Echtes Auslandsengagement braucht Qualifikation und Zeit, so die Philosophie ihres Vereins. Freiwillige, die über BRAVEAURORA ins Ausland fahren, bleiben mindestens für sechs Monate.